Heute liegt der Anteil der Muslime in Spanien unter 5 %. Über 90 % sind römisch-katholisch. Die Madonna hängt auf Fahnen und Flaggen von vielen Balkonen in Andalusien. Häufig sieht man auch einen ziemlich verdorrten Palmenzweig. „Überbleibsel der Osterwoche,“ klärte uns unsere Reiseleiterin in Cadiz auf. Und Ostern wird in Andalusien gefeiert wie ich es noch nie erlebt habe. Auch meine Familie hat eine ziemlich starke Ostertradition, aber die andalusische Karwoche hat selbst mich geplättet. Schon lange vor Palmsonntag treffen sich überall in der Stadt die Musiktruppen der Bruder- und Schwesterschaften der Stadt, um sich warm zuspielen.
Schauerlich bis grässlich klingt es dann jeden Abend von den öffentlichen Plätzen. Aber keineswegs, weil die Musiker so schlecht in Form sind. Nein, denn Ostern beginnt schließlich mit der Kar-Woche. Leid, Verrat und der Tod am Kreuz stehen zwischen Palm- und Ostersonntag. Diese tränenreiche Zeit spiegelt sich perfekt in den lang gezogenen, schiefen Trompeten und Flötentönen wider. Es ist eine Kunst für sich, einem Musikinstrument das Klagen beizubringen, den andalusischen Musikern gelingt dies jedenfalls perfekt. Nach den Tagen des Übens geht es dann am Vísperas Donnerstag los. Das ist keineswegs Gründonnerstag, sondern der Donnerstag vor Palmsonntag. Von da an geht es dann fast ohne Pause, Tag und Nacht weiter bis Ostersonntag. Mit unendlichem Durchhaltevermögen, unermüdlichem Körpereinsatz und ungebrochener Begeisterung schleppen die Bruder- und Schwesterschaften ihre Pasos durch die Straßen.
Pasos sind tonnenschwere Plattformen auf denen ganze Bibelszenen der Osterzeit lebensgroß, komplett dargestellt werden. Da ist zum Beispiel Jesus der auf einem Esel in Jerusalem einreitet, ein echtes Stück Garten Getsemani mit Jünger-Schar und Judas-Kuss oder auch wunderschöne Madonnenstatue in prachtvollen Gewändern im Schein tausender Kerzen. Getragen werden die Pasos auf den Schultern vieler Männer, die ihre unglaublich schwere Last alle 10 Meter absetzen und kurz pausieren. Marschiert wird im Rhythmus der Musik. Eine besondere Herausforderung sind die Kurven in den engen Gassen. Der Enge der Gassen ist es auch geschuldet, dass die Männer unter den Plattformen stehen müssen und nicht neben diesen hergehen können. So stehen sie in der Hitze Schulter an Schulte, von Vorhängen verborgen, unter ihrer Last, die sich schwankend, wie von Geisterhand, im Schneckentempo Richtung Kathedrale bewegt.
Das kann man ja nicht mit ansehen? O doch, tausende Spanier schauen sich das von morgens bis wieder morgens an. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Wer nicht in der Prozession mitläuft, schaut zu. Die kleinsten haben Alu-Kugeln dabei, die sie auf Holzstäbe stecken. Was man damit macht? Das Wachs auffangen, was die Prozessionsträger ab und an von ihren riesigen Kerzen abgießen müssen. Am Ende der „Semana Santa“ - der heiligen Osterwoche - sind die Alukugeln dreifach so dick und herrlich bunt, denn schließlich gehört zu jedem Ostertag eine andere Kerzenfarbe.